Ahimsa – die Lehre vom Verbundensein
So mancher Yoga übende Vegetarier beruft sich gerne auf die Gewaltfreiheit im yogischen Weg, um seinen Fleischverzicht sankrittauglich zu begründen. Und ja, die Gewaltfreiheit – Ahimsa genannt – aus Patanjalis Yogasutren verträgt sich nicht mit den Zuständen in Schlachthäusern – ebensowenig übrigens, wie mit einer Kneipenschlägerei, einer bösen Hass-Email oder einem ganz finsteren Gedanken. Ahimsa meint jedoch noch viel mehr und genau darum soll es heute (auch) gehen. Als Erstes der sogenannten „Yamas“, propagandiert es, dass wahrer Friede in uns nur entstehen kann, wenn wir von jeder Art Aggression und Gewalt loslassen lernen. Wenn wir üben einen anderen Weg einzuschlagen – in Gedanken, Worten, Taten.
Yamas?
Aber vielleicht erkläre ich erstmal ein paar der schmissigen Yogabegriffe. Unter Yamas wird nicht das griechische „Prost“ verstanden, sondern fünf wunderbare Anregungen für einen yogimäßigen, Erleuchtung-versprechenden Umgang mit der Welt um uns. Sie dienen einem friedlichen, respektvollen Miteinander und sollen so für den nötigen Seelenfrieden sorgen. Der achtgliedrige Yogaweg Patanjalis beginnt mit ihnen, was irgendwie auch logisch ist. Niemand, der jeden Abend seine Mitmenschen beschimpft oder dem Nachbarn ein blaues Auge verpasst, kann ernsthaft über Erleuchtung, Seelenfrieden, Vereinigung mit dem Höheren Selbst oder ähnliches nachdenken. Daher rät Patanjali allen Yogaübenden, mit der Haltung zum Umfeld zu beginnen und zwar aus gutem Grund.
Wir selbst und die anderen
Eine kleine Feinheit jedoch bevor es ganz losgeht: Die fünf Yamas Ahimsa , Satya, Asteya, Brahmacharya und Aparigraha beziehen sich nicht nur auf die äußere Welt. Denn natürlich gilt für jeden von uns: So wie wir mit uns umgehen, so gehen wir auch mit anderen um – alles ist ein Wechselspiel. Daher berichtige ich mich kurz : Alle Yamas sind auch Ideen für den Umgang mit uns selbst, weshalb sie doppelt gut tun.
Der Gedanke von Ahimsa
steht am Anfang. Was wunderbar ist, denn zwar kommen die meisten ohne handfeste Schlägereien durch den Tag, aber was ist mit einem harschen Wort? Einem schnippischen, verletzenden Satz oder gar einem bösen Gedanken? Da wird es meist schon schwieriger. Ich beispielsweise habe mir früher gerne vorgestellt, ich würde meinen Kontrahenten in Streitgesprächen mit einem kräftigen Buch mal ordentlich auf den Kopf zimmern, was irgendwie eine lustige und tröstende Vorstellung war – aber leider gar nicht (NULL) dem Ahimsa-Gedanken entspricht. All das Yoga- üben und lesen hat daher dazu geführt, dass ich das kleine unterhaltsame Gedankenspiel aufgegeben habe (mit Wehmut, aber immerhin).
Was passiert, wenn Aggressionen das Ruder übernehmen
Jedesmal, wenn wir so richtig sauer werden, schimpfen oder maulen, uns aufregen – sind wir nicht in unserem natürlichen Zustand von Freude oder gar Liebe. Natürlich nicht. Wir schnauben und wüten und – schämen uns später. Im Moment selbst führen all die Emotionen dazu, dass wir gar nicht klar denken können, was die Ernüchterung im nächsten Augenblick oft so bitter werden lässt. Auch mit uns selbst sind wir oft so wahnsinnig streng, ungeduldig, unfair. Wir kritisieren uns, beschimpfen uns und sorgen für jede Menge Druck in Körper und Geist. Die Welt wird nicht besser und wir keinen Deut zufriedener, wenn wir so sind.
Gewaltfrei leben?
Wobei das gewaltfreie Leben ein hehres Ziel ist. Ob wir nun unabsichtlich auf einen Käfer treten oder die Mücke in der Sommernacht jagen gehen – irgendwas ist immer und Perfektion scheint nicht möglich. Die Frage ist daher eher: Wie viel Frieden und Gewaltfreiheit kann ich leben? In diese Welt bringen? Mir gegenüber zulassen? Wie offen kann ich auf andere zugehen? Wie schaffe ich es in Momenten, in denen ich mich (zu unrecht) angegriffen fühle, Ruhe zu bewahren, nachzufragen und wertschätzend zu antworten? Wie liebevoll oder voller Mitgefühl kann ich auf andere schauen? Wie sehr auf den Gegenangriff verzichten? Die Yogasutren wollen uns erinnern, dass wir uns alle auf einem Weg befinden. Sie ermutigen uns hinzuschauen und nach und nach von unseren Muster der Gewalt und Aggression zu befreien.
Trigger erkennen – Weiterentwicklung zulassen
Wenn wir uns Zeit nehmen hinzuschauen erkennen wir gut, wann ein Satz, ein Wort, eine Tat das Blut in Wallung gebracht hat und der Verteidigungsmechanismus angesprungen ist. Was schon die halbe Miete ist, selbst wenn es erst im Nachhinein passiert. Nun könne wir hinschauen und prüfen, was wir künftig anders machen könnten. Jede Emotion entsteht aus einer Bewertung, die in wahnsinnsschnelle von unserem Gehirn festgelegt wird. Wir greifen dabei unbewusst auf alte Erfahrungen, Erzählungen und Glaubenssätze zurück. Innezuhalten und zu verstehen, dass wir eine eigene Geschichte im Kopf haben müssen, um sauer werden zu können, tut gut. Zu verstehen, dass der andere diese Geschichte nicht unbedingt kennen mag und unsere Reaktion nur ein Verteidigungsmechanismus ist, ebenfalls. Wenn dann noch ein paar tiefe Atemzüge hinzukommen, können wir vielleicht irgendwann ruhiger bleiben und damit gelassener.
Mitgefühl
Uns mehr in andere hineinversetzen, anderen kein Leid zuführen wollen – all das ist Ahimsa. Daher auch die Sache mit dem Fleischverzicht bei vielen Yogis. Wer achtsam hinschaut, wo sein Fleisch herkommt, mag meist danach sowieso keins mehr essen. Ahimsa heißt aber auch achtsam zu sein mit den eigenen Worten, nicht schlecht über andere zu reden, nicht zu lästern und keinen bösen Gedanken nachzuhängen. Wobei auch hier gilt: Es geht darum, Gedanken zu verändern, nicht zu verurteilen. Sich bewusst fragen: Ist das wahr? Stimmt diese Bewertung? Kann ich sicher sein, dass es so gemeint ist? Oder vor dem Sprechen zu überlegen: Ist es gut, wenn ich das nun sage oder verletze ich unnötig? Mit Mitgefühl auf uns selbst schauen gehört auch dazu. Zu erkennen, wenn wir Pausen brauchen, statt das nächste To Do oder wann wir ein Asana im Yogaunterricht auslassen sollten, weil unser Körper nicht mehr mag – all das ist Ahimsa.
Wir alle sind verbunden.
In uns ist ein wunderbarer Kern aus purem Bewusstsein – göttlich, voller Liebe – eine strahlende Seele – sagt die Yogaphilosophie (und eine Menge anderer Schriften ebenso). Der Yogaweg dient dazu, uns mit dieser Glückseligkeit in uns selbst, mit diesem überdauernden Frieden zu verbinden. Der Gedanke, dass jedes Lebewesen pures Bewusstsein ist, bedeutet auch, dass wir alle miteinander verbunden sind. Verknüpft. Was wir dem anderen antun, tun wir auch uns an. Darum mag ich, mit dem Wissen dass ich noch ordentlich Weg zu gehen habe, die Idee von Ahimsa so sehr: Unser Weg wird ein Weg hin zur Liebe. Weg von der Angst, die den Gegenangriff einläuten will oder die Verteidigung hochfahren möchte. Nicht einfach – aber bestimmt lohnenswert.
Ein paar kleine Ideen für Ahimsa im Alltag
Falls du ein paar konkrete Ideen brauchen kannst, versuch mal folgendes:
- Sei dein Cheerleader: In Momenten, in denen du dich beim Selbstkritisieren ertappst, verzeih dir und beginn bewusst dir selbst innerlich gut zuzureden.
- Find deinen Gandhi-Moment: Dann, wenn du angegriffen oder ungerecht behandelt wirst, atme durch, respektiere deine eigenen Grenzen und setz sich für sie ein – allerdings freundlich, friedlich und klar.
- Sei gut zu dir: Ermutige dich selbst Pausen einzuplanen und auf deinen Körper zu hören. Horch mehrmals am Tag in dich hinein und lass deinen Körper mitbestimmen, wie viel du dir zumutest.
- Liebe statt Angst: Wenn du dich dabei ertappst sauer zu werden, versuch ein wenig Abstand zur Situation zu bekommen und frag dich: Wovor habe ich gerade Angst? Was reime ich mir gerade zusammen? Dann frag dich: Wie würde die Liebe auf diesen Moment schauen? Und handel lieber danach.
- Mitgefühl-Power: Immer dann, wenn du siehst, wie jemand leidet oder selbst in Wut verstrickt ist – hab Mitgefühl. Wir alle kämpfen einen Kampf und niemand steckt in den Schuhen des anderen. (PS: Mitgefühl heißt nicht einverstanden sein, sondern mitfühlen).
- Ahimsa auf der Matte: Üb die nächsten Asanas mit geschlossenen Augen. Lass deine Körperreaktionen entscheiden, wie du dich ausrichtest und vor allem, wie weit du in die Position gehst. Dein Körper bestimmt, je mehr du fühlst.
Habt ihr Lust weiter mit mir hier dran zu bleiben? In der nächsten Woche gibt es das nächste Yama mit ein paar Idee. Uih, das macht Spaß, oder was sagt ihr? Habt ihr noch andere Ideen parat? Ich freu mich auf Inspiration und Eindrücke 🙂
Namasté und liebste Grüße
Silja
PS: Die wunderschönen Fotos natürlich wieder einmal von Miriam, schau dir hier ihre Webseite an.
10 Kommentare
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Vielen lieben Dank für Deine Mühe!
Es ist gar nicht so einfach, sich selbst ständig zu hinterfragen.
Aufmerksam mit seinen Worten, Gedanken und Taten umzugehen.
Und das hat doch auch was mit der Wahrnehmung zutun.
Lieben Gruß-
Autor
Liebe Anne,
total! Unsere Wahrnehmung filtern wir mit dem, was wir glauben und wo unsere Aufmerksamkeit hingeht. Wir kaufen ein rotes Auto – und sehen plötzlich ganz viele rote Autos und so weiter. Unser Gehirn liebt die Eindrücke, die passen -ob sie uns glücklich, zufrieden und gelassen machen oder das Gegenteil. Darum passt das so gut zusammen finde ich.
Danke dir und liebste Grüße
Silja
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Ich sende dir ein besonders liebevolles Namaste .
Liebe Grüße Birgit
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Autor
Danke dir du Liebe – und zurück 🙂
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Danke, liebe Silja! Das ist ein toller Einstieg in diese Serie und viel Futter zum Nachdenken, Reinfühlen und Lieben.
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Autor
Liebe Anna,
ich dank dir – so ein schönes Feedback. Bis bald,
Silja
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Liebe Silja
Immer – wenn ich so wundervolle Tipps lese, denke ich: ja, das wäre der richtige Weg. So ist es richtig. Aber.. wenn ich dann in dieser Situation bin, ist es so unfassbar schwer. Ich bewundere alle Geduldigen unter uns, die vielen Situationen mit Ruhe begegnen aber ich bin zum Teil das pure Gegenteil. Ich versuche und versuche und manchmal ja, da habe ich das Gefühl es ändert etwas – gerade wenn es um das Urteilen oder „lästern“ geht aber ich denke oftmals… wieso erwartest du so viel von dir selber und deinen Mitmenschen?
Ich bin froh um deine Texte, weil sie mir helfen mich wieder daran zu erinnern, dass man es ja wieder „mehr“ versuchen könnte und mehr Einsatz zeigen kann.
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Autor
Liebe Stephanie,
geht mir ganz genauso. Verrückt oder? Ich finde, es geht darum immer weiter zu versuchen und dann verändert sich etwas. Schritt für Schritt – und all unsere Unperfektionen umarmen und nicht verurteilen ist ja auch Ahimsa irgendwie.
Alles Liebe,
Silja
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Guten Abend,
jetzt bin ich soooo lange im Yoga unterwegs- und erfahre per Zufall,
dass „AHIMSA“ nicht alleine „GEWALTLOSIGKEIT“ in der Übersetzung heißt,
sondern auch die Lehre von „VERBUNDENSEIN“ beinhalten soll…
Ist das wirklich so???Bedanke mich bereits schon JETZT
Herzlichst
Anne-Marie-
Autor
Liebe Anne- Marie,
nun ich verstehe es so. Letztlich sind die Sutren immer einen Interpretation. Wir sind alle verbunden, diese Verbindung zu unserem Höheren Selbst, zur Quelle, wie auch immer du es nennen willst, suchen wir im Yoga. Die Yamas dienen unserm Seelenfrieden auf dem Weg zur Glückseligkeit und dieses erste bedeutet für mich: Immer, wenn du einem anderen Lebewesen Gewalt antust, tust du es auch dir an. Es gibt ist Sicherheit jedoch viele andere Interpretationen. Such die, die dir am besten zusagt. Wörtlich übersetzt beutetet das Sutra :
Wer fest verankert ist in der Gewaltlosigkeit, in dessen Umgebung verschwindet Feindschaft“ (gefunden auf http://www.asanayoga.de)
Liebe Grüße
Silja
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