Yogasutra 1×1: Aparigraha – die Kunst, nicht haben zu wollen
Es gibt Dinge, die will ich haben, während mich andere Dinge, die ich schon habe, bisweilen wahnsinnig machen. Kennt das noch jemand? Diese Kramecken zum Beispiel, in denen sich das Gedöns hoffnungslos mischt oder diese Hose, die nie richtig bequem war? Manches, was ich habe, macht nicht mich nicht so glücklich, wie ich es mir beim Kauf ausgemalt hatte. Wieso Ausmist-Aktionen auch wunderbar gut tun – und weshalb das fünfte von Patanjalis Yogasutren, durchaus wieder ordentlich Sinn macht. Heißt es doch (zitiert aus dem Lieblingsbuch, s.u.):
„Wer sich in Nicht-Besitzen übt, erkennt seinen Lebenszweck und bleibt sich selbst treu.“
Wieso Nicht-Besitzen für die eigene Treue ein guter Punkt ist
Hast du schon mal überlegt, wofür du eigentlich arbeitest? Als ich „Wir können auch anders“ (s.u.) gelesen habe, hat mich die Schlussfolgerung umgehauen, dass wir manchmal in einem wilden Kreislauf gefangen sind. Wir arbeiten und arbeiten und dann gönnen wir uns etwas, belohnen uns gar, damit sich die Anstrengung der Arbeit auch gelohnt hat. Was wiederum zu Rechnungen führt, die wiederum zu neuen Arbeitstagen oder Zielen wie „endlich ein Job, in dem ich gut verdiene“ führen. Ein verrückter Kreislauf, der sich noch verstärkt, wenn wir das Gefühl bekommen, uns selbst auf dieser Karriereleiter nicht 100 % treu sein zu können. „Das kann man so nicht machen.“ meinen wir zu wissen. „Das kann ich so nicht sagen“ gibts auch oft. Manche haben das Gefühl sich zu verkleiden. „Wofür arbeite ich eigentlich?“ mag nicht die Kernfrage von Aparigraha sein, aber die zwei hängen ein wenig zusammen.
Was ist der Grund für das Besitzen-wollen?
Schaue ich auf meinen eigenen Konsum, dann wäre ich echt gerne erleuchteter. Einfach, weil nicht jede meiner Investitionen mir wirklich dient. Die Wahrheit ist: Viel zu oft kompensiere ich. Ich kaufe ein, um mich besser zu fühlen. Dieses T-Shirt an diesem müden Tag zum Beispiel, gekauft mit der Idee, ich könnte darin frischer aussehen, ach was, mich frischer fühlen. Oder diese bunte Kladde, um wirklich gute Ideen festzuhalten, damit mir nichts mehr verloren geht. Am liebsten kaufe ich Bücher (Yoga, Psychologie, Pflanzen, Einrichtung, Kochen) und das, weil ich förmlich innerlich sehen kann, wie ich beim lesen entspannen werde. Ich kann es quasi schon fühlen! Dabei gibt es noch genug spannende, ungelesene Bücher in den Regalen Zuhause. Und doch, diese Vorstellung von mir, entspannt im Buch blätternd, die lässt mich kaufen und meine Beute glücklich nach Hause schleppen.
Aparigraha – sich lösen und treu bleiben
Schau dir all deinen Konsum einmal an, all die Dinge, von denen du träumst und frag dich: Was denke ich, wie ich mich fühlen werde, wenn ich das habe? Der eigene Garten, von dem ich träume? Um mich entspannter und geerdeter zu fühlen. Dieser lange Urlaub? Um mal richtig abzuschalten. Dieses schicke Kleid, um…. . Die Kunst von Aparigraha beginnt bei mir damit zu verstehen, dass all diesem Haben- wollen eine „wenn… dann…“ Illusion zugrunde liegt. Ein: „Wenn ich erst… habe, dann…..“. Manches mag stimmen. Ein neues Auto mag sich komfortabler, sicherer, verlässlicher anfühlen. Ein neues Kleid dafür sorgen, dass wir uns weiblicher fühlen. Und doch ist all das nur eine Medizin für ein Symptom. Sich treu bleiben beginnt damit, zu erkennen was wir brauchen und es in uns zu suchen, statt außerhalb von uns.
Wofür rennen wir?
Der Weg zur Erleuchtung, für den Patanjali in seinen Sutren eine Anleitung gibt, hält uns mit Aparigraha an, dem Kreislauf der Kompensation zu entrinnen. Es ist die Einladung, nicht mehr all diesem inneren Drängen einfach nachzugeben. Kurz innezuhalten und uns zu fragen, ob wir dies oder das wirklich brauchen. Was wiederum Raum schafft für das, um das es wirklich geht. Die Angst in uns, sei es nicht gut genug zu sein, nicht hübsch genug, nicht entspannt genug, nicht glücklich genug, die lässt uns rennen und kompensieren. Unser Höheres Selbst, unsere innere Weisheit, unsere innere Stimme (wie auch immer du es nennen willst), rät uns zu etwas anderem.
Von Lebenszweck und Glücksgefühlen
Sie rät uns innezuhalten, uns Pausen zu gönnen, unserem Herzen zu folgen, unseren Lebenszweck zu finden, uns treu zu bleiben. Alles andere mag zwar schön und gemütlich und angenehm sein- aber ist letztlich Beiwerk. Das Glück liegt im Jetzt. Die Einheit mit allen Dingen, lässt sich nicht kaufen. Verzicht, so meint dieses Sutra, kann uns näher zu der Person führen, die wir im Herzen sind. Es hilft uns dabei, unsere kleinen und großen „Wenn…dann“s zu erkennen, zu entlarven wonach wir gieren und vielleicht sogar zu verstehen warum. Je mehr wir die Maskerade durchschauen, umso größer werden unsere Chancen, in die wirklich wichtigen Dinge zu investieren und den Rest liegen zu lassen. Und umso größer wird die Chance, weniger für das eigene Glück zu brauchen. Nicht mehr im Mangel zu leben, der automatisch entsteht, wenn wir darüber nachdenken, was wir alles noch nicht haben.
Kleine Ideen für Aparigraha im Alltag
- Das nächste Mal, wenn du dir etwas gönnen willst, frag dich: Wie glaube ich, werde ich mich dann fühlen? Und schau so, was du eigentlich brauchst und wofür diese Investition das Mittel zum Zweck sein soll.
- Schau dir deinen Besitz an und frag dich: Was hiervon brauche ich wirklich? Was macht mich glücklich? – und beginn auszumisten
- Gönn dir Momente des bewussten Verzichtes, um Kompensationsroutinen zu entdecken. Welche Konsumangewohnheiten hast du, die dir gar nicht gut tun?
- Beginn über deinen Lebenszweck zu sinnieren. Wozu bist du hier? Was ist deine Aufgabe? Und was von dem, was du besitzt, dient diesem Zweck wirklich?
Mut & Stärke
heißt mein Workshop am Wochenende und genau das brauchen wir, um Verzicht zu üben. Wir brauchen ein wenig Disziplin und das Selbstbewusstsein, dass wir längst genug haben. Das Wissen und der Glaube, dass wir gut für uns sorgen und gut für uns gesorgt wird. Mut gehört außerdem dazu „Nein“ zu sagen. Auf einer Party mal nichts zu trinken, etwas nicht mitzumachen, etwas nicht zu haben, was alle anderen haben. Diese innere Stärke bekommen wir, wenn wir sehen können, was unser Lebenszweck ist. Worum es uns wirklich geht. Aparigraha ist schon eine feine Sache, die, wie alles, stetige Übung braucht. Oder was meint ihr?
Alles Liebe,
Silja
PS:
Hier nochmal mein Lieblings-Yogasutrabuch:
Und ein schönes Querdenkerbuch:
Wie immer gilt: Bestellt die Bücher gern beim Lieblingsbuchladen, damit es ihn noch lange gibt. (Oder über den Link. (Der zu Amazon führt und mich ein wenig profitieren lässt))
PPS: Das wunderschöne Bild ist von Fotodesign Martin Giebel. Schaut mal auf seine Seite (Werbung)
2 Kommentare
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Liebe Silja, dein Post kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Ich gehe morgen mit meiner Schwester zu einem großen Flohmarkt und da lasse ich mich oft durch die vermeintlichen Schnäppchen zu zu vielen Konsumkäufen verleiten. Deine Worte haben mich sehr zum Nachdenken angeregt. Ich werde mir morgen noch häufiger die Frage stellen,: „Brauche ich das wirklich?“ Und Ausmisten notiere ich mir dann auch Mal wieder auf die to-do-Liste 😎 Danke!!! 🙏😘💕 Liebe Grüße Conny
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Autor
Liebe Conny,
dann wünsch ich dir viel Spaß. Ich muss mich auch immer selbst erinnern – wir sind also in einem Boot 😉
Liebe Grüße und bis bald,
Silja
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