Die Poesie der Jahre

Die Poesie der Jahre

Die Poesie der Jahre

Neulich ging ich die Straßen entlang und mein Blick fiel auf das fallende Laub, auf all die Farben, auf die feuchte Modrigkeit der halbkalten Herbsttage. Alles hat eine Schönheit, dachte ich, wenn ich sie anerkennen kann. Der Rhythmus meiner Schritte mischte sich mit der Bewegung vorbeigleitender Autos und ich dachte über das Altern nach. Über die Jahre, die an mir vorbei ziehen und den Rhythmus, mit dem ich lebe. Alles hat eine Poesie, auch die sanfte Verschiebung in mir. Meine Wechseljahre sind fast vorbei, mir wird nicht mehr heiß und ich bin nicht mehr die Alte, zumindest in Teilen. Ich mache Dinge zum letzten Mal, die Yogalehrerausbildung beispielsweise. Ich träume von Katzen und vor allem davon, mit ihnen und einem Buch in einem Garten herumzuliegen. Schnurren und Blütenduft, meine Träume haben auch eine eigene Poesie.

 

Die Sehnsucht in uns

Wenn ich mich frage, was ich mir (noch) versage, dann kann ich  Sehnsucht, unbestimmt ist sie meist, in mir fühlen. In diesen Jahren des Wechsels hat sich einiges verändert. Ich lerne, das Rennen einzustellen, lerne meinen Körper zu ehren und auf ihn zu hören. Unsere Nebenniere, die tapfer einspringt, wenn die Fruchtbarkeit langsam Platz macht für andere Ziele, kann nur gut arbeiten, wenn sie nicht mit der Produktion der Überlebenshormone unseres Nervensystems beschäftigt ist. Daher kommt meist die Hitze. Daher kam meine zumindest. Die TCMler sagen, es fehlt Yin. Diese nährende, empfangende, niemandem etwas beweisen-müssende Kraft in uns versiegt, wenn wir weiter rennen und sie will genährt werden. Unser ganzes Leben schon fürchte ich, besonders aber dann, wenn die verbleibenden Tage weniger werden, als die schon gelebten. Wir alle tragen eine Sehnsucht in uns von Ankommen, von Durchatmen, von einem Leben im eigenen Rhythmus – ich zumindest und viele, die ich kenne. Wie ein Katze in der Sonne liegen, sich strecken. Zwischendurch etwas jagen natürlich auch.

Loslösung

Die neue Art des Empfangen muss erst gelernt werden, wie der Herbst erst geliebt gelernt werden will, zumindest an den grauen niesligen Tagen. Kann ich ein süßes Leben haben, ohne es mir verdienen zu müssen? Muss ich mich rechtfertigen für das Süße wollen und weniger tun? Was muss ich machen, um mir selbst eine Pause, einen Blumenstrauß, ein Stück Kuchen, einen Tag am Meer, im Spa oder ein paar Stunden in der Geschichte eines Buches erlauben zu können? Niemand versagt es mir, das ist längst klar. Nur ich herrsche darüber, was ich zu tun habe. Dennoch ist in mir, selbst jetzt noch, nach all den Jahren und den tröpfelnden Erkenntnissen, eine burschikose Kritikerin. Sie treibt mich an, will nicht, dass ich loslasse. Zu lange schon ist Sicherheit etwas, was mein System generiert aus dem Reinpassen, Schaffen, Zusammenhalten, Bewältigen in meinem Leben. Ich lerne also das Loslösen von der, die ich meinte zu sein. Mein erfundenes Ideal, was ich in  den Erwartungen anderer zu finden dachte, ist eine Fata Morgana. Es schimmert so schön. Die Idee, ich wäre so wunderbar auf allen Ebenen flirrt verführerisch und lässt mich rennen. Vielleicht schaffe ich es doch, eine wunderbare Mutter, Ehefrau, schlank und erfolgreich zu sein? Dass ich all das längst sein könnte, da ja nur ich die Kriterien für wunderbar festlege, dämmert mir in Wellen. Ich lerne also das Loslassen. Mich lösen. Das Nicht-entsprechen. Das Nein-Sagen und das Ja.

Erwartungen sind Vergangenheit

Ich lerne auch immer noch, dass all die Erwartungen, die lange Liste an müsste-sollte-könnte, aus meiner Vergangenheit stammt. Dass es eine Version von Silja gibt, die dem entsprochen hat. Ob es im Äußeren ist (meine Figur und ihre Veränderungen annehmen) oder im Inneren (die Höhen und Tiefen annehmen). Ich lerne also Erwartungen zu enttäuschen. Vor allem die, die ich  an mich habe. Denn, kein Laubbaum ist das ganze Jahr lang grün und spendet Schatten. Keine Blume im Garten blüht in jedem der Monate. Es ist ok, wenn wir in unserem Rhythmus leben. Wir dürfen unsere Energie nach außen sprühen, blühen und Schatten spenden wenn die Zeit dafür ist. Wir dürfen dann allen Raum einnehmen und duften – egal, ob uns jede(r) mag. Genauso jedoch dürfen wir die Blätter abwerfen, nach Innen gehen, langsam werden und ruhig. Zyklisch leben bedeutet darauf zu vertrauen, dass der nächste Frühling kommt.

Die Poesie der Schritte

Wie ein Spaziergang Momente hat, in denen man in sich versinkt, gar nicht merkt, wie Strecke zurückgelegt wird, so gehen wir unseren eigenen Entwicklungsweg, durch all die Veränderungen hindurch. Kinder ziehen aus, werden groß, lösen sich. Eltern werden älter, Freundeskreise verschieben sich. Vieles, was passiert ist, macht erst im Nachhinein Sinn. Die Poesie der Schritte, der Reim ist er da, wenn alle Worte im Vers geschrieben wurden. Was ich also übe ist eine Offenheit im Herzen. Das Verlernen von Etiketten, von „wie es sein müsste“- Ideen. Manchmal denke ich, ich bin spät dran mit all dem. Dann wird mir klar: Wir alle. Entwicklung, egal in welcher Phase unseres Lebens, findet ebenfalls zyklisch statt. Wir können nur unsere Schritte gehen, einen nach dem anderen. Versuchen uns gut zu fühlen, versuchen uns zu lieben, versuchen gut zu uns zu sein und auf uns aufzupassen. Weil von da ausunser Licht in die Welt strömt. Genau von da aus, direkt aus dem Herzen.

Was sagst du?

Alles Liebe,

Silja

PS: Bilder aus dem USA Urlaub im Sommer (ein Berg auf Orcas Island und die Katze von Moni, eine Rose aus dem Rosengarten in Portland) und ein Bild aus der Yogaausbildung. Leider habe ich vergessen, wer es gemacht hat 🙂

PPS: Mehr zum Thema Älterwerden? Hier habe ich etwas zum Dünnsein geschrieben.

Hallo, ich bin Silja. Gründerin von Glücksplanet und Trainerin, Coach, Yogalehrerin, fröhliche Mama von drei Söhnen, glückliche Ehefrau, begeisterte Pflanzenesserin, beseelte Yogaübende. Mein Herz schlägt für Psychologie und Coaching, Yoga und gutes, gesundes Essen. Ich schreibe mit Leidenschaft über alles, was helfen kann ein glückliches, entspanntes und begeistertes Leben zu leben. Mehr findest du auf meiner "Über mich" Seite. Für tägliche Inspiration folge mir auf Facebook oder Instagram.

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