Kinder loslassen lernen – gar nicht so einfach
Manchmal muss man das Loslassen lernen – wenn jemand aus unserem Leben verschwindet, obwohl wir uns das so nicht gewünscht haben. Wenn wir uns für einen Weg entscheiden, für manche Menschen, Teams, Möglichkeiten und damit gegen andere Optionen. Oder halt, wenn Kinder groß werden. Kinder loslassen lernen finde ich ganz schön schwer und hadere damit momentan ein wenig. Ich sag mal so: Es ist ein Prozess, ich bin mittendrin und dies hier wird persönlich – nur mal so als Vorwarnung.
Woran man merkt, dass man doch älter wird
Dass ich große Kinder habe, wundert mich zwischendurch. Dann bin ich stolz und staune und schaue auf diese beiden großen jungen Männer, die manchmal neben mir stehen. Innerlich fühle ich mich nämlich immer noch nicht wie die Mutter junger Männer. Meistens fühle ich mich komischerweise innen noch genauso wie mit 20. Ja klar, da sind diese Falten um die Augen und ich bin deutlich gelassener und entspannter – und doch bin ich im Kern noch die Frau, die nicht erwarten konnte 20 zu werden. Eine meiner weisen Omas hat das schon früh bemerkt und mit einem zustimmenden: „Man wird nur außen alt.“ quittiert. Es bleibt allerdings mit Kindern nicht aus den Lauf der Zeit zu bemerken. Plötzlich versteht man die ganzen coolen Begriffe nicht mehr, der eigene Musikgeschmack scheint für den Nachwuchs im besten Fall öde und auch modisch hinkt man hoffnungslos hinterher. Und ich bemühe mich um Anschluss, ehrlich, denn so ganz will noch nicht loslassen. Die Zeichen jedoch mehren sich, dass das Loslassen sowas von dran ist. Meine beiden erwachsenen Söhne wollen ihren eigenen Weg gehen und ich darf staunend dabei stehen.
Was Loslassen heißt
Staunend dabei stehen ist gar nicht so einfach. Es ist das Stadium von tiefem Vertrauen, dass alles schon da ist und jetzt die Zeit für eigene Erfahrungen gekommen ist. Als Mutter will man instinktiv noch jede Schramme mit einem Pflaster bekleben – aber die Zeit dafür ist irgendwie rum. Beim Loslassen wird man sowieso ganz schön mit den eigenen Ängsten, der eigenen Geschichte, den eigenen Vorlieben konfrontiert. Ständig möchte ich rufen „Nein! Mach so!“ und mach es manchmal sogar. Die Ernte ist dann Kopfschütteln oder Achselzucken, manchmal ein Augenrollen -selten ein zustimmendes Nicken. Es ist Zeit eine Mutter zu werden, die der eigenen Angst ins Auge schaut und ihre Kinder eigene Fehler machen lässt. Die da ist, ohne zu klammern. Die entspannt ist, ohne kühl zu sein. Liebend, aber halt mit Distanz. Kurz gesagt: Ich bin meilenweit entfernt diese perfekte Loslass-Mutti zu sein.
Abschied nehmen
heißt für mich gerade auch mal leiden. Ich bin nicht entspannt. Ich bin traurig, manchmal hilflos, ohnmächtig. Manchmal stolz und froh. Die Ablösung beim Ältesten ist in absehbaren Phasen verlaufen und außerdem war irgendwie das Wissen noch zwei jüngere Söhne zu haben beruhigend. Nun ist Nr. 2 schon 18, hat sein Abitur in der Tasche und geht auf seine Art raus in die Welt. Ich freu mich so für ihn und will doch jeden Stein beiseite räumen – was ich natürlich nicht schaffe. Nicht kann. Nicht gut genug mache. Wir lachen miteinander, manchmal bekomme ich Vorwürfe, seltener was erzählt. Es entfernt sich etwas aus meinem Leben und das ist gar nicht so leicht. Nun schon zum zweiten Mal – oje.
Wo ist die Zeit hin?
Bei Beiden erinnere ich mich an soviele Momente. Flüchtig scheinen sie heute und ich frage mich, ob ich sie damals genügend wertgeschätzt habe? Wer mal mit dieser unbändige Kinderliebe aus kleinen Jungsaugen angestrahlt wurde, weiß was fehlt, wenn man plötzlich liebevoll, aber halt auch distanzierter, angeschaut wird. Ich erinnere mich an kleine Patschehände, die nach meinen gegriffen haben. An kalte Füße unter der gemeinsamen Decke und Geschichten-vorlesen bis zum Abwinken. Ich weiß noch welche Filme wir gemeinsam geliebt haben und welche ich schrecklich fand aber zähneknirschend mit geschaut habe (Wilde Kerle 3!). Ich erinnere mich an Abendessen, Schulbesuche, verzweifelte Lehrer, kichernde Kinder.
So viele Erinnerungen
Ich weiß, dass wir zu spät kamen und nass wurden, Regenbögen gejagt haben und Sternschnuppen gezählt. Ich erinnere mich an schreckliche Witze und die Legovorlieben meiner Söhne. Ich stand am Rand von Wasserballfeldern und neben Fußballtoren, hab auf Spielplätzen Schaukeln angestoßen und über nahende Kindergeburtstage geflucht. Ich kannte so lange die Träume und die Ängste meiner Kinder – und jetzt heißt es Loslassen. Und man steht da und fragt sich: Wo ist nur die Zeit hin? Und dabei, das will ich mal sagen, habe ich ja noch einen fröhlichen Achtjährigen hier rumspringen – ich will mir gar nicht ausmalen, wie ich in 10 Jahren drauf bin. Au weia.
Zeit zu akzeptieren
dass die Zeiten sich geändert haben. Freunde sind wichtiger und ich damit nicht unwichtig – muss ich lernen. Gemeinsame Abendessen sind etwas, was man sich selbst wünscht – und damit nicht unbedingt der Nachwuchs. Ich werde auch erwachsen gerade, hab ich das Gefühl, denn ich muss lernen meinem Herzen noch mehr zu vertrauen. Meinen Kindern zu vertrauen. Zu verstehen, dass all das eigene Leben so wichtig ist – wie es für mich ja auch war. Dass es nichts über mich oder meine Qualitäten aussagt, wie wir loslassen und vor allem nichts über das unzerreißbare Band zwischen uns. Ich muss der Angst ins Auge schauen, dass sie es sich vielleicht auch mal schwerer machen, als sie müssten – und ich nichts dagegen tun kann. Es ist Zeit zu akzeptieren, dass ich nur noch ein Begleiter am Rande bin – nicht mehr richtig auf dem Spielfeld.
Abschied nehmen von der Perfektion
Das heißt auch Abschied nehmen von der Perfektion. Na klar, ich wäre gerne die Top-Mutter gewesen. Ich hätte so gerne beseelt gebastelt und Kuchen gebacken, ich hätte gerne jede Kleinigkeit miterlebt und doch Raum gegeben. Ich war anders. Ich hab mein Bestes gegeben und tue es noch. Ich habe Backmischungen gebacken und manchmal auch eigene Kuchen – meine Kochkünste haben ein wenig Zeit gebraucht bis sie sich -äh, räusper- ganz entfalten hatten (eventuell gibt es immer noch Luft nach oben). Die erste selbstgebastelte Schultüte ging schon vor dem Einschulungsgottesdienst auseinander und statt bei jedem Spielplatzevent dabei zu sein, habe ich nochmal studiert.
Alles ist gut, so wie es ist.
Nicht, dass wir uns missverstehen – all das war genau richtig so, aber hat auch wenig mit dem Ideal einer perfekten Mutter zu tun, die in meinem Kopf rumspukt. Die Perfektion, was meine eigene Rolle angeht, gehört losgelassen. Genauso, wie die Perfektion bei meinen Söhnen. Sie sind so wunderbar, groß, lustig, unterschiedlich. Ich bin stolz und erstaunt. Sie machen Fehler, haben Macken – das dürfen sie. Manches finde ich merkwürdig, vieles wunderbar. Ist das nicht so im Leben? Das, was wir lieben, braucht keine Perfektion. Zu lieben und gleichzeitig zu lassen ist meine Aufgabe jetzt, glaube ich.
Was wir tun können
Ich habe mal gelesen: „Kinder sind Gäste in deinem Haus“ und wie das so ist mit Gästen: Man freut sich, man liebt sie, man ärgert sich. Es wachsen Persönlichkeiten heran und nicht alles ist gut kompatibel. Ich erinnere mich, dass die Beziehung zu meinen Eltern um so viel besser wurde, nachdem wir uns ein wenig losgelassen hatten. Auch wenn das damals ebenfalls ganz schön schmerzhaft war -zumindest zeitweise. Auch das müssen wir lernen.
Als Eltern können wir nur da sein.
Vertrauen behalten.
Lieben.
Motivieren.
Zuspruch geben.
Zuhören.
Achtsam sein.
Nichts zu persönlich nehmen.
Die eigene Angst aushalten.
Beifall und genauso Trost spenden.
Eigene Projektionen versuchen rauszuhalten.
Auf uns selber achten.
Begleiten.
Stützen.
Loslassen lernen.
Ich bin dabei. Ich bemüh mich. Ehrlich. Ich bin dabei. Es ist ein Prozess. Alles fließt. OM.
Liebe Grüße,
Silja
PS: Nächste Woche kann ich übrigens wieder ein bisschen klammern: Der Älteste kommt aus Australien zurück. puh.
12 Kommentare
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Hallo Silja,
das ist ein wunderbarer Artikel. Obwohl er sehr persönlich geschrieben ist, findet sich bestimmt jede Mama in der ein oder anderen Beschreibung wieder.
Dieses Loslassen ist tatsächlich nicht so leicht, tut der Beziehung aber richtig gut. Manchmal fällt mir das auch schwer; natürlich hab ich Vertrauen in mein Kind, aber die Sorgen lassen sich manchmal eben nicht so leicht auf stumm schalten.
Das mit dem gefühlten Alter kenn ich nur zu gut…der Körper verändert sich, die Kinder werden groß und man hat logischerweise viel mehr Erfahrung, aber gefühlt bin ich irgendwie immer noch zwischen 20-30?
Danke für diesen Artikel und viel Freude weiterhin beim Coachen und Schreiben!
Viele Grüße
Steffi
http://www.einfach-entspannt-erziehen.com -
Autor
Hallo Steffi,
Danke dir für deine lieben Worte. Ach ja- nicht leicht. Ich bleib dran 😉
Bis bald
Silja -
Ein wunderbarer Artikel, liebe Silja! Ich erlebe es so, dass das Loslassen mit dem Tag der Geburt begann … da hatte ich beide Male schon meinen ersten Blues, als ich feststellte, dass diese so vertraute, intime Zeit im Bauch endgültig beendet ist 😉 und so ist es seit dem ein ständiger Prozess, die Leine zu lockern! Vieles, was Du beschreibst kann ich sowas von nachvollziehen … dieses Schwanken zwischen Stolz über jeden eigenständigen Schritt und Traurigkeit angesichts der wachsenden Distanz. Hach … und das mit dem Aus-dem-Haus-nach-dem-Abi-in-die-weite-Welt steht mir ja erst noch bevor … in 3 – 4 Jahren geht’s los 🙂 bis dahin genieße ich noch jeden Moment der Nähe!
Ach ja, und deine Omi ist ja großartig! „Man wird nur außen alt“ muss ich mir merken!!!
Liebe Grüße, Christine-
Autor
Hallo liebe Christine, meine tolle Exkollegin!
danke dir für die lieben Worte und du hast so recht. Mit der Geburt geht’s los. Hach ja und seufz.
Ich drück dich!
Liebste Grüße
Silja
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Hallo Silja,
ein toller Blogtext. Fühle das was in Dir vorgeht, doch was wäre wenn Du Deine (heutigen) gewünschten Ideale in der Erziehung und Begleitung gelebt hättest. Deine beiden Männer und auch Du hätten einige schwierige Situationen, einige Lacher und persönliche Erfahrungen nicht machen können. Ich glaube, eben diese Erlebnisse gehören zur Familienerfahrung. ? Meine beiden Geschwister und ich sind so unterschiedlich und unsere Eltern haben so viel Gutes für uns getan. Alles ermöglicht, was wir uns vorgestellt haben – trotzdem sagen sie heute ab und zu, dass sie dies und das anders machen würden.
Freue Dich auf die kommende Zeit! Sie wird gute, schöne, spannende und überraschende Momente bringen. Genieße die Freude im Gesicht deiner Jungs, Dich wieder zu sehen.
Viel Kraft und Inneres Vertrauen,
Thomas
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Autor
Hallo du Lieber!
Danke dir für deine schönen Worte. Das ist toll zu lesen. Freu mich auf die kommende Zeit. Bisschen Wehmut darf halt auch mal sein 🙂
Bis bald und liebste Grüße
Silja
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Liebe Silja, ein wundervoller Artikel, der mich emotional sehr berührt hat. Ich habe zwar noch Zeit – meine Kids sind 9 und 7 und 5 – aber ich spüre auch, dass das Loslassen nicht unbedingt zu meinen Stärken gehört und es doch so wichtig ist. Denn das Leben bedeutet Veränderung in jedem Moment. Alles fließt und was bleibt ist nur die Liebe und das Licht in unseren Herzen. Deswegen übe ich mich jeden Tag – mal mehr, mal weniger erfolgreich;)- im Loslassen. Und wie Du schon schreibst: es ist ein Prozess.
Von Herzen
Christina-
Autor
Hallo Christina,
danke dir für dein liebes Feedback- ja, ich glaub auch wir müssen täglich üben….ich bleib auch dran!
Liebe Grüße
Silja
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hab deinen Artikel Grad gefunden
bin so zeit so hin und her gerissen mein erst geborener sohn ist gestern gekommen und hat gesagt das ich oma werde wieder ein weiterer Schritt. hab so angst von ihm nicht gebraucht zu werden ihm nicht mehr wichtig zu sein ihn wieder ein Stück zu verlieren. Oder das sie mehr Kontakt und lieber bei den Eltern von seiner Freundin sind..Ich hasse los zu lassen .hab so angst-
Autor
Liebe Petra,
wie toll dass eine weitere süße Seele in deine Familie kommt! Was für ein Geschenk.
Wenn ich dir was raten darf: Fokussiere, was du hast – alle Sorgen sind nur in deinem Kopf, aber sie machen uns eng und manchmal ungerecht und lassen uns „komisch“ reagieren. Sie lassen uns Beweise brauchen für die Liebe und und und. Also einatmen, ja es ist nicht leicht – keine Veränderung ist das. Halt dir jeden Tag vor Augen, was es für ein Geschenk ist deinen Sohn zu haben. Wie toll es ist, ihn bei seinem Glück zuzuschauen. Fokussier die Fülle, nicht den Mangel. Die Dankbarkeit, nicht die Angst.Und viel Spaß mit dem Enkelkind!Alles Liebe,
Silja
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Hallo Silja.
Bin vor Kurzem auf diesen Artikel gestoßen. Ist grad keine einfache Zeit.
Aber deine Worte helfen mir mir selbst zu helfen.
Loslassen zu lernen, es ist sehr schwierig.
Es ist gut zu wissen nicht alleine so zu verzweifelt zu fühlen.-
Autor
Liebe Alexandra,
ja es ist ein Prozess. Es wird leichter, falls dir das hilft.
Ganz liebe Grüße und danke für dein Feedback,
Silja
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