Dahinter- über das, was hinter unseren Fassaden wartet
Am Wochenende, mitten in einer wunderbaren Gruppe lieber Menschen, haben wir über Schubladen sinniert. Darüber, dass wir sehen, was wir glauben und dass wir alle einen wahnsinnigen Teil nicht sehen, weil unseren unbewussten Scheuklappen so viel der echten Welt verbergen. Und so sehen wir nur., was wir meinen schon zu wissen. Wir bestätigen uns selbst die meiste Zeit, sagen Studien. Wir treffen Menschen und ordnen sie ein. Meist ist es schwer zu erkennen, was hinter den verschiedenen Fassaden wartet – es sei denn wir bringen Zeit und Neugier mit. Bleiben wir oberflächlich, sehen wir nur die Oberfläche. Heute also über das Dahinter, mehr ein kleines Gedankenspiel.
All die Etiketten
Mein Tipp am Wochenende im Seminar war, mit den Etiketten zu spielen. Sich nicht mehr hinter der liebsten Beschreibung der eigenen Person zu verstecken, sondern unterschiedliche Schwerpunkte zu betonen. Es ist spannend, wenn wir neue Menschen treffen, sich selbst zuzuhören, wenn es um uns geht. Was sagen wir? Was sagen wir nicht? Wie würden wir gerne sein? Wieviel davon tragen wir nach Außen? Was betonen wir, quasi wie eine Entschuldigung um nicht „falsch“ verstanden zu werden? Die Etiketten unserer eigenen Beschreibung sind ein spannender Ausgangspunkt, sie entlarven ein bisschen, was wir wollen (und was nicht.)
Meine Etiketten
Oh man, hab ich schon gehadert mit meinen Etiketten. „Bankkauffrau“ gefiel mir lange nicht und in der kurzen Zeit in Lycra fand ich „Aerobictrainerin“ nie wirklich gut. Wenn ich heute „Yogalehrerin“ sage, habe ich auch gleich Angst, der andere könnte denken, ich würde gerade heimlich am Kristall reiben (selten, echt selten) und statt „vegan“ sag ich einfach „pflanzlich“ wenns ums Essen geht, das scheint ausreichend weit weg von Birkenstocks (schön!), Körnern (lecker) und missionieren. Ich wünsche, ich wäre frei davon, aber es gibt Etiketten, die lassen mich stolz sein und andere, die nuschele ich lieber leise, wenn überhaupt. Ich kann spüren, dass ich manchmal welche betone, andere mir fremd scheinen. Was sie alle machen ist, ein Bild von mir abgeben. Im anderen eine Idee zünden, welche Art Mensch ich sein könnte.
Dahinter
Dabei hat keines der Etiketten etwas mit mir zu tun. Wir sind doch alle, diese Mischung, nicht nur eins. Wir sind all die Jahre, all die Stationen und noch so viel mehr. All die Gefühle sind wir auch! Ich bin unsicher, wenn ich mich komisch fühle. Immer noch mach ich mir ein wenig zu viel Gedanken darüber, wie etwas zu sein hat, statt wie ich es gerne hätte. Es wird immer freier, aber geht mir echt zu langsam. Hinter unsren ganzen Etiketten und Fassaden jedenfalls sind Gefühle, Erfahrungen, Angst und Spaß. Hinter den Etiketten tobt das eigentliche Leben. Das, was wir denken zu sein, hat so wenig zu tun mit dem, was wir sind oder versuchen zu betonen. Vielleicht mögen sich Fähigkeiten durch Etiketten abbilden lassen, aber unsere Mission im Leben? Unsere Sehnsucht? Unser Lieblingsgefühl? Unsere Lust frei zu fliegen?
Jenseits
Was also, wenn wir einen Moment die Etiketten bewusst beiseite legen? Einen Moment nichts verstecken und nichts sind von all diesen Bezeichnungen außer wir selbst? Wüssten wir, was zu tun ist, wenn wir keinen Erwartungen entsprechen müssten? Wenn wir weder alt noch jung, weder hübsch noch häßlich, weder gebildet noch blöd sind (oder Angst davor haben etwas davon zu sein)? Weder Vorschusslorbeeren noch schräge Blicke zu ernten? Ich glaube, wir würden soviel anders zuhören, nachfragen, da sein, oder?
Wie gleich
Ich glaube außerdem in guten Momenten, dass wir dahinter alle gleich sind. Vielleicht ist echt keiner besser, keiner schlechter? Vielleicht sind wir nur Konditionierungen und Muster und erst dahinter ist unser Herz? Vielleicht haben wir alle die gleichen Sehnsüchte, nur andere Wege sie erfüllen zu wollen? Die gleichen Träume, die gleichen Ängste? Wenn ich das denke, dann hab ich gleich mehr Mitgefühl und außerdem soviel weniger Stress.
„Free your mind
and the rest will follow“ – heißt es in einem Lied und ich denk ja. Alles Verständnis, dass wir uns wünschen, all die Toleranz und der Respekt, fängt damit an unsere Fassaden abzulegen. Sie beginnt mit der Lust jenseits von Stereotypen und Bestätigungen weiter zu suchen nach Gleichheit im Herzen. Bei jeder Begegnung neu zu versuchen aus dem Spiel aus „besser“ und „schlechter“ auszusteigen, sich nicht mehr beweisen zu müssen. Mehr zu fragen, was jemanden bewegt. Sich selbst ertappen lernen, wenn die Klischees im Kopf rumspuken. Die Schubladen erkennen und Lust haben, jemanden wieder auszupacken. Auch uns selbst. Und echt, ich hab noch Weg zu gehen, ist gar nicht so einfach. Was sagst du?
Alles Liebe,
Silja
PS: Die wunderschönen Bilder sind von Miriam. (Werbung, unbezahlt.)
6 Kommentare
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Ach ja, da sind sie wieder, die anerzogenen Muster. Als Kind kommen wir auf die Welt und haben das Gefühl, dass wir das Universum sind. Eltern, später Lehrer und unser persönliches Umfeld erklären uns dann die Welt und wir verlassen diese kindliche „Luftblase“. Wir erfahren Ablehnung und Geringschätzung und so versuchen wir uns „anzupassen“. Ich glaube, dass es wichtig ist sich zu verinnerlichen, dass wir wertvoll sind, gleich welche Haltung uns entgegengebracht wird. Die Wahrnehmung anderer über meine Person hat nichts mit meiner Persönlichkeit oder meinem Charakter zu tun. Ich muss mich an meinen Zielen, Werten und Bedürfnissen orientieren und akzeptieren, dass ich keine Kontrolle über andere Menschen und deren Vorstellungen habe, gleich nach welchen Regeln und Vorstellungen diese leben. Aber wie hat mal ein weiser Mann gesagt: „Wenn wir das Leben wirklich in vollem Umfang verstehen, ist es meist zu spät.“ LG
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Autor
Lieber Ralf,
schön gesagt.
nur mit dem „zu spät“ bin ich nicht dabei.
Ganz liebe Grüße,Silja
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Ach Silja ,….. mal wieder den Nagel auf den Kopf getroffen. Danke, dass du das so treffend in Worte fassen kannst, was andere denken
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Autor
Liebe Sandra,
ich danke dir- so ein liebes Feedback.
Ich schick dir ganz liebe GrüßeSilja
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Hallo Silja,
Vielen Dank für den Artikel und die Anregung unsere Schubladen einmal zuzulassen. Leider lernen wir ja schon von klein auf einzuteilen. Wir lernen, dass eine Blume schön und Unkraut hässlich ist. Früher war diese Einteilung vermutlich ein wichtiger Überlebensinstinkt. Heute trifft das nicht mehr oder nur mehr bedingt zu.
Ich denke, der erste Schritt sich von diesen Schubladen zu lösen, ist es, zu merken wann man urteilt. Dann einfach mal bewusst innehalten und entscheiden, ob man das wirklich möchte. Dies gilt für andere, aber auch für uns selbst.
lg,
Thomas-
Autor
Hi Thomas,
ja genauso sehe ich das auch! Danke dir für deine Anregung und liebe Grüße,Silja
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