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Älterwerden lieben lernen
Da bleibt etwas gleich in mir, während mein Äußeres sich verändert, das kann ich fühlen. Ich will gegen das Älterwerden einfach nicht mehr kämpfen. Es ergibt keinen Sinn. Ich übe daher gerade, mich nicht zu verurteilen sondern zu umarmen, wer ich da gerade werde. Es ist ein wenig spannend und manchmal beängstigend. Neuerdings beispielsweise tut mir der Ballen eines Zehs weh. Arthritis sagte jemand. Kommt mit dem Alter, jemand anders. Ich will mich nicht ergeben in das aufkeimende Unwohlsein. Daher versuche ich meinen Körper zu verstehen. Es ist ein Prozess. Ich lerne den Widerstand gegen das, was ich mir ja andererseits ersehne, abzugeben. Alles andere ist verschwendete Energie, wäre eine Schwächung. Die Alternative würde mich anfällig machen für das Konservieren. Doch ich will mich nicht abrackern nur, um zu beweisen, dass ich noch „die Alte“ bin. So eine Ironie. Wir sind nie die Alte. Waren es nie. Veränderung ist permanent und unser Freund. Sie schafft Freiräume.
Eine Hand auf meiner
Es besteht ein kaum merkbarer Zusammenhang zwischen dem Einlassen auf die Veränderungen von Körper, von Vorlieben, von Leidenschaften und meiner Selbstliebe. Die Milde, die ich brauche, um meine weiche Körpermitte, die feinen Falten um meinen Mund oder meinen schmerzenden Zehballen zu umarmen, lässt mich eine innere Sanftheit entdecken. Da entsteht eine leise Stimme in meinem Kopf, die das ständige Treiben der jüngeren Kritikerin in mir ersetzt, und mir zuflüstert: „Ist gut. Du machst das schon. Mach langsam. Genieß es.“ Meine Hand liegt auf meiner. Ich halte mich. Je älter ich werde, umso mehr.
Zulassen üben
Je älter ich werde, umso weniger habe ich Lust, mich abzumühen für ein Bild, was andere von mir haben. Jede denkt sowieso was sie will. Viel zu lange habe ich versucht zu kontrollieren, was andere denken könnten. Dabei ist ja eigentlich nur wichtig, was ich denke. Ich übe daher zu prüfen, wie ich mich fühle. Damit ich lerne, was mir wirklich guttut. Um zu bemerken, was mir wirklich gefällt. Mit der neuen Präsenz macht sich ein: „Und was will ich?“ breit in meinem Kopf. Die Tendenz, den Ansprüchen anderer (die wir uns ja ausgedacht haben, da keiner in den Kopf eines anderen schauen kann) gerecht zu werden, nimmt ab, wenn wir uns Einlassen. Wenn wir zulassen, dass wir nur wir sein können, wird alles entspannter. Wie würde ich leben, wenn ich frei wäre? war eine Frage, die mich lange begleitet hat. Gefolgt von: Und warum baue ich mein Leben nicht so um, damit es so (ähnlich) ist?
Plattenspieler und Seidenpapier
Wir lernen zuzulassen, wer wir sind und mit dem Zulassen zieht eine Romantik in unseren Alltag ein. Die Abwesenheit von Widerstand, das Verlieren der Lust am Besonderen gehen Hand in Hand. Die kleinen Momente zählen mehr. Eine leise Schallplatte im sanft beleuchteten Schlafzimmer, Regen der draußen am Fenster trommelt, ein Buch in der Hand, der Duft von Lavendel und Fichte im Raum. Soviel ungewollte Perfektion an manchen Abenden. Dankbarkeit webt sich durch die Momente, wenn ich darauf acht gebe. Morgens aufstehen und sich über die Strickjacke freuen, ein warmes Wasser, kalte Luft auf dem Balkon atmen. Romantik ist überall zu finden, wenn ich aufhöre mit mir zu kämpfen, scheint es.
Freiheit braucht unsere Liebe
Wir befreien uns selber. Kehren zurück zu uns, wenn wir Älterwerden. Kein Beweisen mehr, wenn wir uns trauen. Sind wir genug? Wer weiß. Wer will das überhaupt beurteilen? Nach welchen Maßstäben wollen wir uns messen? Ich denke die Tage viel darüber nach, wie glücklich ich bin. Wieviel Freude kann ich fühlen? Wie präsent kann ich sein? Es geht gar nicht darum, wie es von außen aussieht, schwant mir. An unsicheren Tagen betrachte ich mein Gesicht kritisch. Ich stelle mir vor, wie ich mehr Face Yoga übe und puste meine Wangen auf. Einen Moment der Motivation, bis ich mich wieder erinnere, dass ich nicht hier bin, um zu gefallen. Ich bestimme ja die Regeln meines Lebens.
Wasser sein
Ich bin hier, um zu fließen. Wie Wasser sein, heißt es. Eine Naturgewalt, die sich selbst genießt. Erfrischend klar, wenn wir bei uns sind. Älterwerden ist ein Prozess dahin. Unsere innere Freiheit braucht unsere Liebe. Unser Mut wächst aus ihr. Können wir uns so sehr lieben, dass wir das beste Leben für uns kreieren? Innen statt außen? Ich glaube fest daran und übe. Natürlich scheitere manchmal, doch darauf kommt es nicht an. Das Losgehen ist entscheidend. Die Versuche zählen.
Die Zeit ist jetzt. Immer.
Von Herzen,
Silja
PS: Was sagst du? Ich bin so gespannt.
PPS: Lies hier etwas über die grauen Haare.
PPPS: Das Foto hat Miriam Dierks gemacht. Du findest sie hier.