Warum uns Vergeben befreit und wie du eine Praxis des Vergebens für dich baust
Wir alle haben eine Geschichte, haben gute und schlechte Erinnerungen und ebenso gibt es bei uns allen Menschen, an die wir gerne zurück denken und welche, bei denen ein Gedanke reicht und wir fühlen uns mies. Meist haben uns solche Menschen einmal sehr weh getan, uns verletzt oder beschämt – physisch oder psychisch. Schwer, das aus dem Kopf zu bekommen, aber möglich. Eine Praxis des Vergebens ist das, was uns hier retten kann.
Warum Vergeben befreit
Wenn wir jemandem Vergeben, dann lassen wir nicht nur den anderen los, vor allem lassen wir uns als Opfer los. Was nicht heißt, dass wir nicht Opfer waren, aber die Haltung von „mir wurde übel mitgespielt“ ist keine günstige Haltung für ein freies und glückliches Leben. Es gilt sie abzulegen wie die Schlange ihre Haut, denn die Haltung hält uns zurück in dieser unschönen Vergangenheit. Es ist, habe ich einmal in einem Seminar gehört, als würden wir mit einem ständigen Blick in den Rückspiegel in unsere Zukunft fahren. Keine Chance, die Landschaft oder den Moment richtig zu genießen, denn das Bild vom Rückspiegel bleibt immer präsent.
Den Opferstatus aufgeben
Es ist also Zeit den Opferstatus aufzugeben. Überleg dir einmal, wo du überall Opfer warst. Was aus deiner Sicht anders hätte laufen müssen in deinem Leben. Meistens beginnt es mit den Eltern. Vielleicht waren sie wirklich schrecklich, es gibt traumatische Erlebnisse oder aber sie waren nicht liebevoll oder fürsorglich. Verletzungen dieser Art sind schrecklich aber es wird Zeit die Verantwortung für das weitere Gelingen unseres Lebens irgendwann selbst in die Hand zu nehmen. Heilung ist nur möglich, wenn wir es schaffen die Haltung zu verändern. Denn leider führt die Opferhaltung zu einigen unschönen Nebeneffekten. Unser Ego mag sie sogar ein wenig. Zwar lässt sie uns machtlos und ohnmächtig werden, wo wir doch mittlerweile stark und unabhängig sind, aber sie ist auch eine schöne Entschuldigung. Wie kann x oder y klappen, wenn uns das passiert ist? Unser Gehirn macht wahr, was wir denken und so klappt dann wirklich kaum etwas in unserem Leben. Dazu kommt noch, dass wir als Kompensation und Schutz viel mehr kämpfen oder uns abschotten als wir müssten, denn auf keinen Fall wollen wir sowas noch mal erleben. Manchmal suchen wir auch Betäubung, essen oder trinken zuviel- es gibt viele Arten der Kompensation. Noch schrecklicher jedoch ist: Der Opferstatus macht uns selbst zu Tätern. Ich höre oft „Aber mir wurde auch übel mitgespielt“ als Begründung für ein Verhalten, was nicht ganz ok war. Kann das sein? Haben wir eine Berechtigung der Welt unsere schlechten Seiten zu zeigen, weil wir auch Schlechtes erleiden mussten? Ich denke nicht, oder? Es hilft also nichts, der Opferstatus muss verschwinden und das geht wunderbar über die Vergebung. Sie definiert uns neu. Sie macht uns zu Regisseuren unseres Lebens. Sie gibt uns Kraft.
Wem du vergeben solltest
Mach also eine Liste mit Personen und Begebenheiten, die sich noch heute furchtbar für dich anfühlen. Vielleicht wirst du traurig, wenn du daran denkst oder wütend, fühlst dich ohnmächtig oder schämst dich? Lass es zu, schau hin. Die Zeit ist gekommen nicht mehr wegzusehen. Und dann mach dir eine Liste mit all den Menschen, die du dafür verantwortlich machst. Wenn du dir selbst auch Schuld gibst (was die meisten von uns tun) dann schreib dich selber auch auf die Liste. Sich selbst vergeben können ist eine Tugend, die wir auf jeden Fall beherrschen sollten.
Die Praxis des Vergebens
Schritt eins: Finde eine Situation und schau sie dir an.
Nun nimm dir die erste Situation, den ersten Menschen und sieh es dir genau an. Was ist damals passiert und warum hat es dich so verletzt? Umarme die jüngere Version von dir und tröste dich. Mach dir deutlich, wie viel weiter du heute bist und auch was alles passiert ist auf Grund dieser Situation. Das ist ganz spannend. Ich habe erst vor kurzem begriffen, dass ich mit solcher Passion dabei bin anderen zu helfen, Yoga zu unterrichten oder zu coachen, liegt mit Sicherheit auch daran, dass meine Mutter sehr krank war. Als kleines Mädchen konnte ich lange nicht begreifen was da vor sich ging. Ich hatte Angst, es wäre meine Schuld wenn sich ihr Zustand verschlechterte. All die späteren Jahre, das Lernen der vielen Techniken hatte mit Sicherheit diese ersten Erfahrungen mit als Triebfeder. Ich will anderen helfen können. Dafür musste ich mir jedoch erst einmal vergeben und mir eingestehen, dass nichts von dem, was passiert ist, meine Schuld war. Als Erwachsene durchschauen wir das, wenn wir uns solch einer Situation nähern. Schau dir die Situation also an wie einen Film auf der Kinoleinwand – sieh dein jüngeres Selbst und all das was war. Wenn du magst, dann gestalte den Film um und gib deinem jüngeren Selbst ein paar Superkräfte, mit denen es die ganze Sache besser überstehen kann. Das hilft erstaunlich gut.
Schritt zwei: Vergebe.
Nun geht es ans Vergeben, was übrigens nicht heißt, dass du das, was war akzeptieren oder gut finden sollst. Jedem von uns ist Schlechtes widerfahren, da gibt es kaum etwas dran schönzureden. Wir wollen ja nur aufhören, dass all der Kram unser Jetzt und unsere Zukunft auch noch versalzen kann. Ich vergebe am liebsten indem ich die Vergebung in ein Gebet einbaue. Wenn du nicht betest, dann führe ein Selbstgespräch, geh in die Natur oder vor einen Spiegel, was auch immer sich für dich richtig anfühlt. Du kannst die Vergebung auch aufschreiben und dann im Freien verbrennen – das ist ein sehr kraftvolles Ritual was gut tut. Die Asche verstreust du in alle Winde und spürst direkt, wie du erleichterter bist.
Aber was soll auf den Zettel? Oder was soll gesagt werden? Ins Gebet eingebaut? Eigentlich nichts Wildes. Es reicht, die Vergebung auszusprechen. Etwas zu sagen wie „Ich vergebe dir (Namen) für (Situation). Ich vergebe dir und lasse dich und mich frei. Aller Groll, alle Trauer, alles Entsetzen fällt von mir ab. Ich vergebe dir.“ Wenn du betest, kannst du um Unterstützung einer höheren Kraft bitten. „Bitte (Universum/ Gott/ an was du glaubst) hilf mir zu vergeben. Ich übergebe (Namen) an dich. Ich vergebe (Namen) für (Situation) und bitte dich, mir zu helfen und alles von mir zu nehmen.“ . Sage den Text bewusst und ganz in Ruhe. Horch in dich hinein, lass Gefühle aufkommen, wenn sie da sind. Nimm dir Zeit. Die gleiche Praxis gilt übrigens für Dinge, die du dir selber heute noch übel nimmst. Am wirkungsvollsten ist dann die Praxis der Vergebung hier, wenn du vor einem Spiegel arbeitest.
Schritt drei: Weitergehen
Hört sich kurz an? Unspektakulär? Fand ich zuerst auch. Aber die Praxis der Vergebung ist mächtig. Danach gilt es ein wenig Ruhe zu haben und dir Zeit zu geben, dass sich alles neu sortieren kann. Vielleicht wirst du merken, dass sich Opferstatus oder Grollgedanken einen Weg zurück in deinen Geist bahnen wollen? Das kommt manchmal vor, denn unser Gehirn ist ja ein wenig wie ein Automat und schlechte Gedanken können wie Routinen sein. Manchmal kommen also hartnäckige Fälle zurück. Solltest du das bei dir bemerken, dann schau dir den Gedanken an und formuliere ihn sofort um. „Ja, das habe ich früher gedacht. Doch heute habe ich vergeben. Ich bin frei von Groll und weiß, dass ich mein Leben selber in der Hand habe.“
Schritt vier: Sich Gutes tun
Nun wird es Zeit der Gestalter deines Lebens zu sein. Du willst, dass es dir gut geht und die Schwere der alten Erinnerungen ist gelindert? Dann los. Was tut dir gut? Was willst du tun? Welche Gewohnheiten kannst du nun ablegen, da du die Kompensation nicht mehr nötig hast? Vielleicht kannst du nun offener mit deinen Gefühlen sein und die Menschen näher an dich heranlassen? Oder du kannst mutiger und eigenständiger handeln, weil du dir selber mehr vertraust? Horch in dich hinein und schau welche Sehnsüchte aufkommen. Das, wo du einen Mangel siehst, das solltest du dir selber gönnen. Hast du das Gefühl, die Menschen sind abweisend zu dir? Dann sei du offen für dich selber, hör auf deine Gefühle, gönn dir das, wonach dir ist und gib dir all das, was du dir bisher von anderen erhofft hast. Aus dieser Stärke heraus wirst du offener auf dein Umfeld zugehen, weniger fordernd sein und du wirst sehen: Alles verändert sich.
Schritt fünf: Hilf jemandem
Wenn der Schritt vier im vollen Gang ist wird es Zeit dein neues, positiveres Ich die Welt verbessern zu lassen. Such dir jemandem, dem du etwas Gutes tun kannst. Ohne eine Gegenleistung zu erwarten, ohne einen speziellen Grund. Und ich meine hiermit nicht, dass du anderen erklären solltest, was sie nun zu tun haben. Jeder hat seinen eigenen Rhythmus zu heilen und wir brauchen manchmal ordentlich Geduld, um zu akzeptieren, dass andere noch nicht dort sind. Hör lieber zu oder lade jemanden auf einen Ausflug ein, bring unerwartet Blumen mit oder umarme jemanden lang. Alles zählt, was hilft.
Ich wünsche dir auf jeden Fall eine befreite Zeit!
Bis bald,
Silja
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